Das Spannungsfeld zwischen Selbstorganisation, Führung und Macht ist zu einem wesentlichen Thema für Unternehmen geworden. Einerseits lesen wir die Schlagzeilen über das überbordende Machtbewusstsein von Konzernleitern. Andererseits staunen wir über die Erfolge junger, schneller Unternehmen mit flachen Hierarchien und einem hohen Grad an Selbstorganisation.
Das Thema ist für Konzerne, Mittelständler und Startups gleichermaßen wichtig. In diesem Beitrag wählen wir vor allem die Perspektive der gewachsenen, mittelständischen Unternehmen. In einem Folgebeitrag werden wir uns noch einmal den Themen Macht und Führung widmen. Dann vor allem aus der Perspektive selbstorganisierter Teams und Organisationen. Diese sollten sich bewusst mit diesen Themen auseinandersetzen, um Entwicklungen und Fehlentwicklungen frühzeitig erkennen und beeinflussen zu können.
Für gewachsene mittelständische Unternehmen ist das Thema Selbstorganisation wichtig, um den Blick über die traditionelle hierarchische Organisation hinaus heben zu können. Ein gutes Maß an Selbstorganisation innerhalb von Teams und Unternehmenseinheiten ist aus mehreren Gründen überlebensnotwendig. Zwei seien hier genannt:
1.Globalisierung und Digitalisierung treiben mit großer Dynamik Innovationen an. Produkte werden immer passgenauer auf spezifische Wünsche und Anforderungen von einzelnen Kunden zugeschnitten.
Zentral geführten, großen Unternehmenseinheiten wird es auf Sicht immer schwerer fallen, das notwendige Maß an Kundennähe und Entwicklungsgeschwindigkeit zu leisten. Es braucht stattdessen kleine, selbststeuernde, bewegliche Einheiten, die schnell auf Anforderungen reagieren und Neuland erkunden können, ohne dafür den gesamten Apparat in Bewegung (und aufs Spiel) setzen zu müssen. Dahin zu kommen, ist ein schwieriger Prozess, der rechtzeitig begonnen werden muss.
2.Bewegliche, selbststeuernde Teams ziehen einen ganz bestimmten Typ von Menschen an: Kluge Schnelllerner, gut ausgebildet, verantwortungsbewusst, risikobereit, selbstmotiviert, kommunikativ, sozialkompetent, freundlich … . Überspitzt gesagt sind es „Führer ohne Führungsanspruch“, „Macher ohne Ellenbogen“, „Beweger“ statt „Stellenbesetzer“. Zwängt man sie in eine traditionelle Führungsstruktur, legt man sie in Ketten oder verliert sie an den Wettbewerb.
Natürlich kommen nach unserer Überzeugung auch
selbstorganisierte Teams nicht ohne Führung aus. Im Gegenteil: Führung
wird vielfältiger, spannender,
qualitätsvoller – und flüssiger: sie fließt je nach Situation und
Aufgabenstellung vom einen zur anderen. Führung ist nicht mehr eine Position in
einer Hierarchie, sondern eine Rolle, die man in einer bestimmten Situation zu
einem bestimmten Thema übernimmt. Darin liegt einer der Nutzen von
selbstorganisierten Teams: Mehr Kompetenz bei Entscheidungen, mehr Verständnis
bei allen Beteiligten.
Für die Teammitglieder bedeutet das: Mehr Gestaltungsmöglichkeiten, mehr
positive Herausforderung, mehr Möglichkeiten, die eigenen Potentiale auszuschöpfen.
Führen bedeutet gestalten können. Gestalten können ist immer verbunden mit Macht.
Macht ist das Vermögen,
in einem sozialen Kontext
Entscheidungen zu treffen und
wirksam werden zu lassen.
Über die Entstehung von Macht sagt der Psychologe Dacher Keltner, dass sie verliehen (nicht ergriffen!) wird. Sie wird verliehen auf Grund des Nutzens, den jemand einer Gruppe bringt: Wer als Führerin oder Führer gute, nützliche Entscheidungen trifft, bekommt den Auftrag, weitere Entscheidungen zu treffen und sie bekommt von der Gruppe mehr Mittel und mehr Unterstützung für die Umsetzung. Wer schlechte, schädliche Entscheidungen trifft, dem entzieht die Gruppe ihre Unterstützung – selbst dann, wenn es eine formale hierarchische Überordnung gibt.
Insofern sind Macht, gute Führung und auch Selbstorganisation bestens kompatibel miteinander, solange …
… solange es nicht zu Machtmissbrauch kommt. Als Machtmissbrauch beschreibt Dacher Keltner den egozentrischen Gebrauch der Macht. Machtmissbrauch verursacht immense volkswirtschaftliche, wirtschaftliche und personale Schäden. Er kann Unternehmen in existenzielle Krisen führen und Teams fast handlungsunfähig machen. Macht verführt zu ihrem Missbrauch. Um dem Missbrauch zu begegnen braucht es Aufmerksamkeit für diesen Sachverhalt und gezielte Maßnahmen. Netflix hatte die Abwehr von Machtmissbrauch buchstäblich in seinen Verhaltenskodex geschrieben („Do not tolerate brilliant jerks. The cost to teamwork is too high.“) Unternehmerfamilien pflegen häufig ganz gezielt bestimmte Werte, die sie gegen die Entstehung von Machtmissbrauch immunisieren sollen („Erst die Firma, dann die Familie“).
Gefährdet sind Organisationen (Unternehmen, Teams…), in denen die emotionale Bindung zum Wohl der Organisation gering ist und/oder in denen die Aufsichtsstrukturen verschwimmen. Gefährdet sind auch Organisationen, in denen Macht und Machtmissbrauch nicht ausreichend reflektiert werden.
Den Nutzen von guter Führung und Macht anerkennen und die Gefahren von Machtmissbrauch zur Diskussion stellen, ist für Organisationen ein wichtiges Mittel, um nicht überraschend „gekapert“ zu werden.
Wenn Sie mehr über das Thema erfahren wollen, besuchen Sie uns doch auf der REConf 2020 in München. Hier sind wir mit einem Vortragund einem Workshopvertreten.